Die Befreiung Göttingens

Göttingen, 7. Mai (jj) - Seit dem 8. April mittags ist Göttingen vom Nationalsozialismus befreit! Kreisleiter Thomas Gengler hatte sich ins Kreisgebiet abgesetzt. Oberbürgermeister Albert Gnade, SS-Standartenführer und Träger des von Himmler persönlich überreichten SS-Totenkopfringes, mußte die Stadt den anrückenden amerikanischen Truppen übergeben. Zu diesem Zweck fuhr er ihnen am 8. April gegen 12.30 Uhr, zusammen mit Stadtrechtsrat Schwetge, Amtsgerichtsrat Schmidt und Prof. Baumgarten als Dolmetscher, mit einer weißen Fahne gewappnet, entgegen. Zuvor war es aufgrund des zögerlichen Verhaltens des OBs zur Beschießung des Ostviertels gekommen, wodurch u.a. der Turm der Pauluskirche zerstört wurde. Ausgelöst wurde diese Verzögerung durch die Drohung von zwei Parteifunktionären, im Falle der Übergabe der Stadt für Sabotageaktionen zu sorgen. Durch den Beschuß waren noch Tote und Zerstörungen zu beklagen. Mittags erging dann die Aufforderung an die Anwohner der Groner Straße, die Fenster zu schließen, da die Amerikaner, wegen möglicher Heckenschützen, auf offene Fensterhöhlen schießen würden.


Göttingen wird die Kapitulation mitgeteilt

Von Kapitulation konnte im Falle Göttingens allerdings keine Rede sein, da sich die Deutsche Wehrmacht bereits in den ersten Apriltagen aus der Stadt zurückgezogen hatte.

Wie bekannt wurde, kehrte auch der Leiter des Göttinger Stadtarchivs und Vorsitzende des Geschichtsvereins, Wilhelm van Kempen, aus dem Kriege zurück und sammelt Zeugen über die Ereignisse der Befreiung. Er will herausfinden, wer die Stadt vor der Zerstörung bewahrt habe. Gerüchten zufolge rühmen sich schon die alten Mächte der Rettung der Stadt. Um einer Legendenbildung für die Zukunft vorzubeugen und die Taten der ehemaligen Machthaber zu verdeutlichen, werden auf den folgenden Seiten die wichtigsten lokalen Ereignisse seit Jahresanfang beleuchtet.

Für uns stellt sich eher die Frage nach dem Verbleib der verschleppten Genossinnen und Genossen und der Menschen jüdischen Glaubens aus Göttingen. Wer hat die Verbrechen der Nazis überlebt und vor allem, wer ist in unserer Stadt für diese Verbrechen verantwortlich? Beispielsweise versäumte es Gnade als Chef der Verwaltung, rechtzeitig für die Versorgung der zahlreichen "Displaced Persons" (Zwangsarbeiterinnen, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene) zu sorgen. So kam es am 9. April zur Plünderung des Heeres-Verpflegungsamtes. Zur Zeit sind 10.500 DPs in Göttingen, überwiegend Polen, Italiener und Russen.


Verspätete Befreiung

Nikolausberg, 7. Mai - In Nikolausberg und Herberhausen wartete man nach dem Abzug der letzten Deutschen vergeblich darauf, daß der Krieg auch hier endlich zu Ende ging. Kein Amerikaner ließ sich blicken, und als sich am 11. April schließlich zwei beherzte Nikolausberger auf den Weg machten, um im Aulagebäude um Anschluß an die Nachkriegszeit zu bitten, hatten sie kein Glück. Über dem Warten im Gedränge der überfüllten Kommandantur brach der amerikanische Feierabend an, und die Mission mußte ergebnislos abgebrochen werden. Erst fünf oder sechs Tage später erschien ein motorisierter Abgesandter des Kommandanten und nahm Nikolausberg in Besitz.

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