"Ein zäher opferreicher Kampf"

Das Göttinger Tageblatt für die NS-Bewegung

Göttingen 8.Mai (red). Das Göttinger Tageblatt wäre auch gestern im Briefkasten gewesen, hätte nicht im April 1943 "die Fortführung des siegreichen Krieges" ein besonderes Opfer gefordert. Die kriegsbedingte Zusammenlegung des GT mit dem NS-Blatt "Südhannoversche Zeitung" an diesem Tag sollte vorübergehend sein, nur bis Kriegsende. Man fusionierte in "kameradschaftlichem Einvernehmen" und nicht - wie vielleicht später behauptet werden wird - zwangsweise. Der Herausgeber, Dr. Viktor Wurm opferte damit "persönliche Rechte und Wünsche" dem "ewigen Deutschland" (siehe letzte Ausgabe des GT). Wurm trat bereits 1922 in die NSDAP ein. Im selben Jahr begann er für die Lokalredaktion zu schreiben, war ab 1924 Hauptschriftleiter, Herausgeber und Verleger ab 1933. In diesem Jahr starb auch sein Vater Gustav Wurm, der das Tageblatt 1889 gegründet hatte. Dieser war es auch, der im November 1918 den Schwenk hin zu nationalistischer und antisemitischer Berichterstattung vollzog.

Bis noch vor eineinhalb Jahren diente das Göttinger Tageblatt der Nationalsozialistischen Bewegung, "wie kein anderes Blatt in Norddeutschland", schrieb Viktor Wurm 1939. Wie die Anhängerschaft der NSDAP, so wuchs in der Weimarer Zeit auch Beliebtheit und Auflage des Tageblattes. Die Namen Gustav und Viktor Wurm, Karl Multhopp und Heinz Koch standen gegen die "Novemberverbrecher", gegen "Judentum und Bolschewismus", und "Weimarer System, Marxismus und Pazifismus". Sie wollten außerdem "völkische Erneuerung im Sinn eines deutschen Nationalstaates und eine radikale Reinigung unseres politischen, wirtschaftlichen und geistigen Lebens" (1933). Viktor Wurm meinte 1929, daß die parlamentarische Demokratie "dem deutschen Volk und dem deutschen Wesen in keiner Weise gerecht" würde.

Karl Multhopp arbeitete in mehreren Redaktionen: Vor seiner Arbeit beim GT (1934-1943) schrieb er u.a. für den nazistischen "Niedersächsischen Beobachter - Kampfblatt für Niedersachsen", dann als Hauptschriftleiter (1931-34) für die NS-Parteizeitung "Göttinger Nachrichten". Schließlich ging er nach der GT-Einstellung zum NS-Blatt "Südhannoversche Zeitung". Heinz Koch hatte zwischen 1919 und 1943 beim Tageblatt verschiedene Aufgaben: Er war u.a. Leiter der Lokalredaktion, des Feuilletons und Stellvertreter Wurms. Wer erinnert sich nicht an seine flammenden Aufrufe zugunsten der nazistischen Machthaber?

Der Kampf des Tageblattes begann 1918 freiwillig - wie Heinz Koch 1939 meinte - aus den "idealsten Beweggründen". Das GT stritt trotz Auflagerückgangs und Zensurmaßnahmen durch die sozialdemokratische preußische Regierung (fünf GT-Verbote zwischen 1921 und 1932) "zäh und opferreich" für die Bewegung.

Nach der von den Nazis gewonnenen Wahl im Januar 1933 - Gustav Wurm hoffte, es sei die letzte in Deutschland gewesen - sonnte sich das Blatt in seiner Märtyrerposition aus den "Kampfjahren des Nationalsozialismus": Heinz Koch dachte im Mai 1933 stolz an die Weimarer Zeit zurück, in der das GT von Gegnern als "Hakenkreuzblatt beschimpft" worden sei, ebenso an Verbote und Repressionen gegen Redakteure durch staatliche Institutionen. Es ist nicht notwendig, an dieser Stelle Beispiele aus den vielen GT-Festausgaben zu Führergeburtstagen, NSDAP-Jubiläen etc. der letzten Jahre zu zitieren. Auch das fanatische Geschwätz vom Endsieg, der deutschen Sonderseele und ihrer "Mission" werden viele noch all zu lebhaft erinnern.

Das Göttinger Tageblatt hat in seiner selbstverordneten Eigenschaft als "informatorischer Berater und politischer Führer" in Göttingen den Boden für die NS-Bewegung mit bereitet. Es hat mehr geleistet als die NS-Parteizeitung Göttinger Nachrichten: Es war das Bindeglied zwischen denjenigen, die schon die Nazis wählten und einer breiten bürgerlichen Schicht, die zunächst noch deutschnational-konservativ gesonnen war. Es ist auch schwer, sich die Wahlerfolge der NSDAP ohne die Hilfe der GT-Agitation in den 20er und 30er Jahren vorzustellen.

Eine neue, demokratische, Presse darf sich nicht wieder gleichschalten lassen - oder selber gleichschalten! Enteignet Wurm!

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