Wir haben zu lange gelitten

An alle ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter der Eisenbahnausbesserungswerk (EAW), Lagers Maschpark und Schützenplatz: Wehrt Euch!

Wir haben zu lange gelitten, um noch weitere Ungerechtigkeiten ertragen zu müssen. Jetzt ist die Zeit, Deutschland und die Welt klar zu machen, was für ein Verbrechen die Sklaverei im "Dritten Reich" war.

Es ist eine teuflische Ironie, verschleppte und inhaftierte Frauen und Männer zu Rüstungsarbeit und Kriegsverkehrwesensarbeit zu zwingen, an der sie durch totale Ausbeutung und Erschöpfung sterben sollen, um einen verbrecherischen Krieg der Faschisten, der gegen ihre eigene Bevölkerung und sogar die gesamte Menschheit gerichtet ist, aufrechtzuerhalten.

Heute sind wir, also diejenigen, die noch am Leben sind, körperlich und gesundheitlich völlig zerstört. Als Gauleiter Lauterbacher am 5. April 1945 aufrief: "Lieber Tot als Sklav!" wußte er schon, wovor er sich fürchten sollte. Er war öfter 'Gast' bei uns, unsere Arbeit zu überprüfen. Für uns hieß es aber "Der Tot durch Sklaverei!"

Große Unterschiede zwischen Arbeitsplatz und Lager gab es nicht. Alles war in einem Ort. Im Lager wird nicht gewohnt, es ist die Fortsetzung der Fabrik. Wir arbeiten in der Fabrik, dann werden wir ins Lager befördert, damit wir uns für die Arbeit "erholen" können. Für uns war das Leben ein alltäglichen Überlebenskampf.

Im EAW arbeiteten über 1.500 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, größtenteils aus der UdSSR. Es waren die schwerste körperliche und schmutzigste Arbeit unter entsetzliche Bedingungen. Anders als bei den deutsche Arbeitskräfte wurde bei uns kein Unterschied in der Arbeitsverteilung zwischen Frauen und Männern gemacht. In der Lokhalle mußte eine Abrißkolonne die schmutzigste Arbeit erledigen, indem die Lok vollständig zerlegt wurde. Mit jedem Schlag das Vorschlaghammer quoll der Dreck zwischen den Fingern. Danach begann die zweite Kolonne von etwa 20 Leuten mit der Reinigung der stark verschmutzte Lokunterseite mittels einer giftigen Mischung aus sehr heißem Wasser und Sodalösung. Dieses sogenannte 'Scharfes Wasser' verätzte die Hände und beim Einatmen auch die Lungen. [Nach dem Reinigen wanderte die Lok über uns auf zwei Schiene, so daß dann die dritte Kolonne zu eine schnelle und fristgerechte Akkordarbeit beim Zusammenbau angetrieben wurde.] Auf Grund dieser hektischen und giftigen Arbeit, fehlender Schutzbekleidung, ungenügender Beleuchtung, Unterernährung, und zunehmender körperlicher Erschöpfung kamen Verletzungen und schwere Unfälle häufig vor.

An unsere Befreiung aber haben wir einen eigenen Anteil. Am 2. April 1945 weigerten wir uns, das Werk zu demontieren und nach Weiden in Oberbayern zu verlegen. Hierdurch sollten weitere Luftangriffe auf das EAW verhindert werden. Durch uns scheiterte der Plan.

Für die Befreiung mußten viele von uns sterben. Vom 1. Januar 1945 bis zum 7. April 1945 wurde der Güterbahnhof und der Schützenplatz viermal bombardiert. Ohne irgendeine Form von Schutz, ohne Bunker und Splittergräben mußten wir am Ort der ständigen Bombardierung bleiben. Dabei wurde unser Tod von den für die Verteidigung der Gleisanlagen zuständigen Einheiten bewußt in Kauf genommen. Um eine größere Streuung der Bomben zu verhindern, kam die Armee-Leitung auf die Idee, das Flugabwehr-MG am Bahnhof abzumontieren, damit die angreifenden Maschinen nicht aus größeren Höhen anzugreifen. Dies geschah zum Schutz der Innenstadt - auf unsere Kosten. Von uns kamen allein beim Angriff am 1. Januar in diesem Jahr 40 Menschen ums Leben. Es war ein bitteren Preis für die Zerschlagung des NS-Regimes. Und heute droht uns die Abschiebung durch die sogenannte Repatriierung zurück in unsere hungerelenden Heimat wo ein ungewisses Schicksal auf uns wartet. Dort werden wir womöglich als Verräterinnen und Verräter unseres Landes behanelt, auf Grund unsere gezwungene "Leistungen" für die Faschisten. Heute fragen wir uns: Was heißt diese Freiheit? Wer hat uns befreit? In diesem Sinne sind wir freigelassene Sklavinnen und Sklaven - aber lange noch nicht frei!

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