Herr Müller

Wenn heute die Sprache irgendwo auf Hitler oder überhaupt auf die Nazis kommt, und Herr Müller ist dabei, dann fängt er an, mit den Augen zu funkeln, gibt seiner Stimme einen bebenden Klang und sagt im Brustton der Überzeugung: "Im Grunde war ich immer gegen diese Bande. Die sind an allem Schuld. Ein Glück, daß sie nicht mehr da sind."

Wer Herrn Müller kennt und insbesondere seine Vergangenheit, denkt unwillkürlich an den Einbrecher, dem die Polizei auf die Spur gekommen ist, und der nun, mit dem Finger auf einen anderen zeigend, aus Leibeskräften schreit: "Haltet den Dieb, haltet den Dieb!"

Man muß sich eigentlich wundern, wie schnell Herr Müller es fertig bringt, seine Gesinnung über Bord zu werfen, wo doch Pg. Müller noch bis vor kurzem "treu hinter dem Führer gestanden ist". Aber bei Herrn Müller liegt der Fall etwas anders. Herr Müller besitzt überhaupt keine Gesinnung und hat auch noch nie eine besessen. Das ist ein Konjunkturitter übelster Prägung. Für ihn ist Politik ein Pferderennen, bei dem man immer auf den Favoriten setzt.

Herr Müller war der Mann der Nazis - charakterlos und für jeden schmutzigen Dienst zu gebrauchen.

Herr Müller war es, der für ein paar Silberlinge "staatsfeindliche Volksgenossen" bespitzelte und der Gestapo, das heißt dem Tod, auslieferte.

Herr Müller war es, der sich als vorschriftsmäßiges germanisches Rasseexemplar fühlte und ausländische Arbeiter mit Füßen trat.

Herr Müller war einer der bezahlten "Heil"-Schreier im Berliner Sportpalast, die nach "Kanonen" schrien und trotzdem genügend "Butter" fraßen.

Herr Müller war einer der Hundertfüngzigprozentigen, die ihre Hand immer noch ein wenig höher hoben als die anderen, die noch ein bißchen lauter "Heil Hitler!" schrien, als das die anderen taten.

Herr Müller gehört zu jener Sorte Menschen, die Hitler ausgezeichnt für ihre Sache brauchen konnte. Diese Menschen sind charakter- und skrupellos. Für den entsprechenden Lohn geben sie sich zu jeden, wenn es sein muß, zu den größten Schandtaten her. Politische Gesinnung ist ihnen vollkommen fremd.

Heute geht Herr Müller durch die Straßen Berlins, katzbuckelt vor jedem Rotarmisten und bringt überalll, ohne gefragt zu werden, seinen Abscheu gegen den Nazismus und seine Freude darüber zum Ausdruck, daß er von ihm befreit worden ist.

Herr Müller ist natürlich nicht allein. Solche Müllers gibt es eine ganze Menge: durch die Bank raffinierte Brüder, die über eine fabelhafte Verstellungskunst verfügen.

Diese Herrschaften sollen sich aber folgendes gesagt sein lassen: Geben Sie sich keine zu große Mühe mit ihrem Gesinnungsumschwung, und galuben Sie nicht, daß man mit einem Schwall verlogender Worte und Gesten das ungeschehen machen kann, was man in zwölf Jahren verbrochen hat. Die Zeiten des Dritten Reiches, wo Gesinnungslumpen und Schmarotzer im Trüben fischen konnten, sind endgültig vorbei.

Wenn Sie etwas tun wollen, um Ihre anständige Gesinnung zu beweisen, dann tun Sie es durch Ihre Tat, daurch Ihre ehrliche Arbeit und Mithilfe beim Wiederaufbau von all dem, was in erster Linie Sie mitgeholfren haben zu zerstören.

Hermann (Wedding)

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