Tagebuchaufzeichnungen

Die letzten Kriegstage in Berlin.

Heut ist Sonntag, welches Datum weiß ich gar nicht. Eben habe ich etwas in meinem Keller geheult. Bleiben kann ich leider da nicht, er ist völlig finster. Jetzt habe ich ein Plätzchen in einem anderen Keller mit Licht. Seit gestern nachmittag müssen wir im Keller bleiben, weil irgendein wahnsinniger Idiot aus dem Fenster geknallt hat. Fast hätte man uns alle an die Wand gestellt - Wurst wider Wurst für unsere Vergehen in den von uns besetzten Gebieten. Irgendwie konnte man unsere Unschuld nachweisen. Aber ! Wenn es nochmal passiert, sind wir geliefert. Wir sind also drauf gefaßt, in dem fensterlosen Luftschutzkeller zu ca. 20 Personen zu schlafen. Die Nacht war lieblich. Miserable Luft, Schnarchen in allen Tonarten. Ich mit einer anderen Frau auf dem Schnatterbett. Ein Mann hielt draußen Wache - nicht etwa für uns - wir zittern jede Minute, daß man uns abholt, uns junge Frauen und Mädchen. Ein 16-jähriges Mädchen hat schon zweimal dran glauben müssen aus unserem Keller. In einer hlaben Stunde war es erledigt. Sie ist solch dralles junges Mädchen, Bauerntyp, seelische Schäden bei ihr am wenigsten von allen zu fürchten, die jetzt im Keller zittern. Vermummt mit dunkelbraunem Kopftuch, Brille und schwarzem Mantel lag ich im Bett und übte, ein altes Gesicht machen. Bei jedem Geräusch spannten sich alle Muskeln vor Angst. Einmal war Frauenweinen zu hören - was Hanne Bock, der Wache schob, allerdings leugnete - dann schluchzte neben mir ein weibliches Wesen; mal überkommt es jeden. Man darf garnicht an sich denken und alles, was geschah, geschieht und noch kommt. >Dann überwältigt einen das Mitleid mit sich selbst. Ich bete mir immer vor , das dies einwandfrei das Schlimmste ist, was ich je an äußerem Schicksal erleben werde. Schlimmeres, als die Aussicht auf Schändung, erschossen zu werden oder im Keller verbrennen gibt es wohl nicht. Hoffentlich lieben sie das Ätherische nicht. Einer wollte mich schon mal im Vorbeigehen umärmeln, ließ sich aber durch mein entschiedenes Zurücktreten abhalten. Ein anderer drängte mich in den Kellergang, ich drängte mich aber energisch an ihm vorbei. Ein dritter musterte mich so unverschämt in einer Wohnung, in der ich gerade bei einer alten Frau war, daß ich wütend "raus" rief. So schrecklich diplomatisch ist das ja nicht, aber dieses Volk, das so rücksichtslos über alles herfällt, was wir lieben und hegen! Es sind wirklich die reinsten Hunnen. Von jenseits des Ural ist die jetzige Besatzung, primitivste Asiatengesichter. Augenblicklich räumen sie unsere Wohnungen aus; sie sind schon bei den Möbeln. Es tut einem weh, daß aus Biedermöbeln, die man so oft mit Blicken und Staubtuch streichelte und die heil durch all die vielen Angriffe und die Eroberung Berlins kamen, daß daraus jetzt Kleinholz wird.

Ich habe mal wieder ein bißchen geheult, vor Freude diesmal. Es geht das Gerücht, wir würden doch Amerikaner, die Russen zögen sich wieder zurück. Wenns vielleicht auch nicht stimmt, ist es ein Hoffnungsstrahl. Draußen knallt es noch viel, aber das kann einen schon längst nicht mehr erschüttern. Die Angst, von Bomben getroffen zu werden, ist ein Klacks gegen die Angst vor den Grausamkeiten dieser primitiven Völker, die jetzt mut uns tun können, was sie wollen. Man kennt die Knalle schon, hat Artillerieeinschüsse gesehen. Die Innenwände sind nie davon getroffen. Also auf dem Flur schlafen! Große Bomben sind während der Kampfhandlung nicht gefallen. Alle Panzergeräusche gehen einen in den Häusern nichts an, und vor Häuserkämpfen blieben wir verschont, denn die hätten uns ja auch ans Leben gehen können. Straßenkämpfe waren schon hier; man hörte Gewehrschüsse aud den Straßen, und erst kamen deutsche einzelne und später russische einzelne Soldaten durch.

Aber jetzt mal der Reihe nach: [...]

Bange lange Stunden! Da, der erste russische Soldat, der Haus und Keller nach deutschen Soldaten durchleuchtete. Diese Angst! War aber sehr freundlich. Wir versteckten uns erst in einem Keller (drei Frauen) , aber er fand uns. - Hingegen im Vorderhaus Tragödie. Da hatte es aus dem Haus geschossen. Alle wurden mit Pistolen vor die Brust gehalten auf dem Hof an die Wand gedrückt, mußten die Uhren abliefern, wurden nach Schnaps gefragt. Das war immer das Wichtigste: Uhren und Schnaps. Meine Uhren: Eine im Ärmel, eine hinter den Briketts, eine im Rucksack. Hoffentlich bleibt eine übrig. - Vier Leute flüchteten, davon zwei aus unserem Haus in die Kokskisten und stülpten sich Körbe über. Die anderen zwei waren Parteileute, die sich vor den Augen der anderen erschossen. Wankend und krank vor Angst kamen unsere wieder. Kaum waren sie da, da kam ein neuer russischer Soldat, der kontrollierte. Das eine Mädel schien ihm zu gefallen, und sie sollte mit ihm mitkommen. Alles saß gelähmt vor Schrecken da. Die Mutter wollte mit - sie war erstarrt "mein Raimund, ich kann doch nicht." Alle redeten ihr zu mitzugehen, sie ging schließlich mit raus. Dann hörte man einen herzzerreißenen Schrei, und sie kam zurückgestürtzt. Er holte sie dann nicht nochmal, hatte sie noch nicht angefaßt. Jetzt hatte uns alle die Angst gepackt. Es stimmt also mit Schänden und Plündern.

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