1945

März 1945

Ich will nicht sterben.

Ich will zurückkehren!

Zuviele Menschen habe ich, die auf mich warten,

zu viele Dinge habe ich auf der Welt zu tun.

Ungedachte Ideen,

ungesagte Worte,

ungeschaffene Werke,

ungelebte Freuden,

ungestreichelte Wangen,

ungetröstete Tränen. Vielleicht

neu zu erleidende Schmerzen.

Herr, laß mich zurückkehren!

April 1945

Der Magen ist ein tobender Hund,

der kläfft, hochspringt und rast,

mit den Zähnen die Eingeweide zerreißt

und sich dann beruhigt. Um ihn nicht wieder zu wecken,

schlägt das Herz immer langsamer.

Das Gehirn umnebelt sich, kalt werden

die Füße und die Hände.

Mai 1945

Ich habe Hunger, und ihr gebt mir nicht zu essen,

ich habe Durst, und ihr gebt mir nicht zu trinken,

ich friere, und ihr gebt mir keine Kleidung,

ich will schlafen, und ihr laßt mich nicht ruhen!

ich bin müde und ihr heißt mich arbeiten,

ich bin erschöpft, und ihr heißt mich schleifen

einen toten Kameraden an den Füßen:

mit geschwollenen Knöcheln und dem Kopf,

der auf den Boden schlägt,

mit weit aufgerissenen Augen ...

Aber ich habe ein Haus denken können,

hoch auf einer Klippe über dem Meer,

in sich gefügt wie ein antiker Tempel.

Ich bin glücklich: Ihr habt mich nicht!

Ludovico Belgiojoso

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