Prof. Dr. K. F. Saller im Gespräch

"... die Partei verstand ja wenig von wissenschaftlichen Dinge"

(alü/red) - Der Anthropologe Karl Felix Saller lehrte Anfang der Dreißiger Jahre an der Medizinischen Fakultät der Universität Göttingen. Am 14. Januar 1935 wurde ihm auf Betreiben des Leiters des NSDAP-Rasseamtes, Dr. Walter Groß, die Lehrbefugnis entzogen. Er hatte die Rassentheorie der deutsch-faschistischen Rassenhygiene, wie sie insbesondere von Hans Friedrich Karl Günther und Fritz Lenz vertreten wurde und die eine der ideologischen Grundlagen der NS-"Weltanschauung" darstellte, weitgehend widerlegt. Während er die Vorkriegszeit im inneren Exil verbrachte, wurde Saller am ersten Kriegstag sofort als Sanitäter eingezogen und erst im Augenblick der Kapitulation aus der Wehrmacht entlassen. Unmittelbar nach seiner Entlassung gab er unserem Mitarbeiter ein Interview, das wir hier exklusiv in voller Länge abdrucken.

Redaktion: Herr Professor Saller, unter welchen Umständen wurde Ihnen seinerzeit die Lehrbefugnis entzogen, und wodurch kam es zu Ihrem Konflikt mit dem NS-Regime?

Saller: Was die Einzelheiten der gegen mich betriebenen Kampagne angeht, bin ich selbst auf Mutmaßungen angewiesen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, bin ich vor der Machtübernahme kein ausdrücklicher Gegner des Nationalsozialismus gewesen und hatte bis Anfang 1932 die Ziele der nationalsozialistischen Bewegung unterstützt.

Redaktion: Wenn Sie sagen, 'bis Anfang 1932', wo fing dann der Bruch an?

Saller: Zunächst einmal bin ich in einer ausgesprochen nationalen Tradition erzogen worden und aufgewachsen, ohne mir der wirklichen Konsequenzen bewußt zu sein. Ich bewunderte Hindenburg, war ein Gegner des Versailler Vertrages, im großen und ganzen aber ein eher unpolitischer Mensch. Als Anthropologe und Mediziner erhoffte ich von einer Orientierung der Politik auf Werte der "Volksgesundheit" - durchaus auch im Sinne eugenischer Maßnahmen - Möglichkeiten zur Bekämpfung erblicher Erkrankungen. Zugleich geriet ich frühzeitig in Gegnerschaft zur Rassenhygiene, die ich von innen her kannte, also aus dem fachwissenschaftlichen Diskurs heraus. Das betrifft v.a. die sogenannte "Tötung lebensunwerten Lebens", die Sterilisierungsprogramme, all das wurde seit den frühen zwanziger Jahren von vielen Kollegen ja ganz offen gefordert. Als verantwortungsbewußter Anthropologe und Mediziner mußte ich das ablehnen. Ich wußte, was Männern vom Schlag eines Verschuer oder Mengele zuzutrauen war und bezog dagegen frühzeitig Stellung. Gleichzeitig führten mich meine Forschungen, besonders die Ausgrabungen in der bayerischen Ofnet-Höhle, zu der Erkenntnis, daß es die sorgfältig voneinander getrennten, unvermischten Menschenrassen schon seit der Steinzeit nicht mehr gibt. Insbesondere die "nordische Rasse" hat nie existiert. Ich arbeitete demgegenüber heraus, daß die deutsche Bevölkerung ein Bastardgemisch aus slawischen, romanischen, germanischen und Relikten viel älterer Elemente ist und nannte dies die "deutsche Rasse". Diese Bezeichnung war ein Kampfbegriff gegen den nordomanischen Unsinn.

Redaktion: Dies führte zum Konflikt?

Saller: Nicht allein. Ich hatte einen Großteil der politischen Forderungen der Nazis für so unsinnig gehalten, daß ich eine zwangsläufige Rücknahme für den Fall einer tatsächlichen Regierungsverantwortung erwartete. Erst zu Beginn der dreißiger Jahre wurde mir klar, daß dem nicht so war. Dazu kam die Tatsache, daß meine Gegner, die Rassenhygieniker, eng mit den Nazis zusammenarbeiteten. So wurde Günther gegen den Willen der Fakultät von Frick auf einen Lehrstuhl nach Jena berufen, was von Lenz und vielen anderen unterstützt wurde. Hitlers Rassenauffassungen waren kein Produkt seines eigenen Geistes, sondern gingen auf Lenz zurück, ergänzt allerdings durch Hitlers wirren Antisemitismus. Nach der Machtergreifung wurden dann verschiedene meiner Schriften verboten, mir selbst schließlich ein Redeverbot in der Öffentlichkeit erteilt. In meinen Vorlesungen saßen Spitzel der Partei. Aber wann dann beschlossen wurde, mich von der Fakultät zu entfernen und warum - das weiß ich nicht.

Redaktion: Reichte die Tatsache, daß sie die NS-Rassenlehre widerlegt hatten, denn nicht aus?

Saller: Schauen Sie, die Partei verstand ja wenig von wissenschaftlichen Dingen. Die Gedankengebäude von Freud und Einstein galten nicht allein deswegen als `böse', weil sie wissenschaftlich radikal waren, sondern aufgrund der jüdischen Herkunft ihrer Begründer. Jung und Planck hatten keine Schwierigkeiten. Mein Kollege Scheidt wurde nicht angegriffen, obwohl er ähnliche Positionen vertrat wie ich. Er war in seiner Stellung jedoch besser etabliert. Muckermann war ein verhältnismäßig orthodoxer Rassenhygieniker, aber praktizierender Katholik und Mitglied der Jesuiten. Das reichte.

Was mich anging, wurde ein Brief, in dem ich die Rassenvorstellungen von Hitler und seinen Adlaten als Unsinn bezeichnete, von einem Denunzianten an Dr. Groß weitergeleitet. Ob der Brief aber Grund des Berufsverbots war oder nur willkommener Anlaß - das wissen allein Groß und solche erlesenen Wissenschaftler wie Günther und Lenz. Es ging nicht zuletzt auch darum, Kritiker der persönlichen Auffassungen von fachlich kleinen Leuchten mit großem politischen Einfluß mundtot zu machen.

Redaktion: Was erwarten Sie für die Zukunft? Welche Konsequenzen müssen Ihrer Meinung nach in den Humanwissenschaften gezogen werden?

Saller: Sehr tiefgreifende. Die gesamte Medizin, Anthropologie und Biologie in Deutschland ist kompromittiert. Sie alle waren ja Mittäter. Es geht nicht nur um die Mörder und Mordgehilfen in den Heil- und Pflegeanstalten, den KZs und Sachverständigenkommissionen. Das Weltbild der Nationalsozialisten ist in weiten Teilen eine Ausgeburt leichtfertiger Spekulationen und rassistischer Vorurteile fragwürdiger Anthropologen. Wenn ein Neuanfang in Deutschland möglich ist, müssen diese Elemente aus dem Lehrbetrieb entfernt werden. Dies ist nicht nur eine Personalfrage - die leidige Rassenideologie muß aus den Köpfen verschwinden. Die Anthropologie kann nicht länger behaupten, es gebe voneinander grundsätzlich getrennte Menschenrassen. Wer dies als Wissenschaftler weiterhin vertritt, wird wider neuerer Erkenntnisse zum Eideshelfer faschistischer Kräfte.

Redaktion: Herr Saller, ich danke Ihnen für das Gespräch!

[zurück] [weiter] [grafische Übersicht] [Inhalt] [Seite drucken] [Fenster schließen]