Das gespaltene Land

Frankreich zwischen Résistance und Kollaboration

Paris, 6. Mai (ca) - Das "freie Frankreich" gehört zu den Siegern. Wenn sich am morgigen 9. Mai in Berlin-Karlshorst die Zeremonie der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands wiederholt, so werden auch die Franzosen dabei sein, die sich seit November 1944 an der Niederschlagung der nazideutschen Armeen beteiligt haben.

Das 1940 von Deutschen besetzte Frankreich ist frei - nicht nur durch die Unterstützung der anglo-amerikanischen Streitkräfte seit Juni 1944. Denn viele Franzosen haben sich gegen die Besatzungsmacht gewehrt und Widerstand geleistet: la résistance. Einer ihrer Führer gründete 1941 in London das "Französische Nationalkomitee" (CNF). Heute kann er sich am Ziel sehen: Die Verteidigung des freien Frankreichs und der Kampf gegen die Kollaboration von Vichy im Gefolge der Niederlage des Nazi-Regimes.

Eine Karte
Das besetzte Frankreich 1940 - 1944

Im Vichy-Regime, vertreten durch Marshall Pétain, Laval und Dalans, gewann Hitler willkommene Marionetten für seine imperialistischen Pläne: Sie erwiesen Nazi-Deutschland so manchen "guten" Dienst, für viele wurde Vichy-Frankreich zur Hölle. Jüdische Flüchtlinge wurden in Internierungslagern gesammelt, zehntausende nichtfranzösische Juden und Jüdinnen in deutsche Konzentrationslager deportiert. Hunderttausende von Arbeitern und Arbeiterinnen stellte Vichy dem Deutschen Reich "freiwillig" zur Verfügung. Sie sollten in der deutschen Industrie die kriegspflichtigen Männer ersetzen, die vor allem ab Juni 1941 in einem weiteren Angriffskreig gegen die Sowjetunion kämpften. Diesen vorauseilenden Gehorsam "belohnten" die Deutschen 1942 mit einem Gesetz, nach dem bis 1943 über 700.000 Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen für deutsche Zwecke rekrutiert wurden. Zu Verfolgungen und Arbeitsverpflichtungen kam der alltägliche Trror, den die deutsche Besatzungsmacht in Frankreich ebenso wie in anderen Ländern ausübte. Hierin wurde sie von den Kollaborateuren kräftig unterstützt, die Regimegegner unbarmherzig verfolgten und verhafteten.

Doch es gab auch das "andere Frankreich" - die Résistance! Ihre Anhänger waren vor allem links orientiert, kamen aber ähnlich wie bei der Kollaboration aus fast allen gesellschaftlichen Gruppen und Parteien. Bis zum Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion 1941 hatten sich die Kommunisten nach dem Nichtangriffs-Pakt vom August 1939 zurückgehalten - jetzt nahmen sie eine führende Stellung in der "Front National" ein. Sie dominierten bei Sabotage-Akten und Attentaten. Viele wurden daraufhin Opfer der grausamen Vergeltungsaktionen der SS. Die Résistance organisierte vor allem Fluchtwege, baute die geheime Presse aus, verteilte Anti-Nazipropaganda und führte aufreibende Partisanen-Kämpfe.

Erinnert sei in diesen Tagen des Sieges an einen der mutigen Kämpfer, den ehemaligen Präfekten Jean Moulin. Ihm war es im Frühjahr 1943 gelungen, die Résistance zu einer Aktionsgemeinschaft zu vereinigen, dem Nationalrat des Widerstands (CNR). Doch Moulin konnte die Befreiung Frankreichs im letzten Jahr nicht mehr miterleben - im Sommer 1943 wurde er vom Chef der Lyonder Gestapo Klaus Barbie verhaftet und hingerichtet. Kaum ein Wunsch erfüllt die französische Bevölkerung mehr als der nach Sühne für den Mord an Moulin. Möge der Schlächter schnellstmöglich gefaßt und seiner gerechten Strafe zugeführt werden! Zehntausende Widerständler bezahlten ihren Einsatz mit dem Leben, Verhaftung oder Folter: Etwa 20.000 wurden erschossen, schätzungsweise 60.000 deportiert. Wieviele zurückkehren werden, ist ungewiß.

Nach der Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 sah die Résistance vielerorts die Chance, sich endlich der deutschen Besatzer zu entledigen. Der Erfolg war beschränkt und zog furchtbare Racheakte nach sich. Trauriger Höhepunkt war das Massaker der SS-Divisionen in Oradour-sur-Glane: über 600 Dahingemordete, vor allem Frauen und Kinder. Doch mit dem erzwungenen Rückzug der Deutschen brach auch das Vichy-Regime zusammen. Laval und Pétain wurden nach Deutschland beordert und fristeten bis April 1945 in Sigmaringen ein verirrtes Schattendasein.

Ein Bild von ...
Sabotageakt der Résistance

Am 25. August 1944 befreite der Aufstand der Résistance Paris und Hunderttausende jubelten über die "Rückkehr Frankreichs". Der Traum von einem "freien Frankreich" war nun Wirklichkeit geworden. Im September, als fast das gesamte französische Territorium befreit war, erkannten die Alliierten die Regierung de Gaulles an. Es ist zu erwarten, daß für die Zukunft Frankreichs die Résistance richtungsweisend sein wird. Ihr wesentlicher Zug war und ist der Wille zur gesellschaftlichen Erneuerung. Dazu gehört nicht nur die schonungslose Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, sondern auch die Einführung des längst überfälligen Frauenwahlrechts. Es bleibt zu hoffen, daß die Franzosen und Französinnen die Verwirklichung einer von grundauf erneuerten Republik mit aller Kraft vorantreiben!

[zurück] [weiter] [grafische Übersicht] [Inhalt] [Seite drucken] [Fenster schließen]