Erste Gründungen von Flüchtlingsorganisationen

Hilfsgemeinschaft oder revanchistische Keimzelle?

Göttingen 7. Mai, (Büt) - Die Flüchtlingstrecks aus dem Osten erreichen über Friedland die Stadt Göttingen. Es wird bereits jetzt davon gesprochen, daß sich erste politische Vereinigungen der Flüchtlinge gegründet haben. Die gegründeten sogenannten "Notgemeinschaften", Hilfsorganisationen und Suchdienste befassen sich zwar vordergründig mit der Hilfe für die im Westen ankommenden Millionen von Flüchtlingen, doch ist bereits erkennbar, daß es ihnen um mehr als nur um die Not der Menschen geht.

Nach Beendigung des Ersten Weltkrieges hatten sich schon nach kurzer Zeit landsmannschaftliche Verbände zur Durchsetzung ihrer revisionistischen Politik und zur Bekämpfung des Versailler Vertrages zusammengeschlossen. Die Funktionäre aus der Weimarer Zeit waren im Nationalsozialismus grundlegende und treibende Kräfte für die Verwirklichung der deutschen Großraumpolitik im Osten.

Sollte sich der Einfluß dieser Notgemeinschaften vor allem durch die Tag für Tag steigenden Flüchtlingszahlen verstärken, besteht die Gefahr, daß alte Revanchisten, die den Nazis an die Macht verhalfen, ihre faschistische Politik mit Hilfe des Flüchtlingspotentials wieder aufnehmen können. Es ist erschreckend, daß der Krieg gerade erst beendet wurde und sich bereits neue nationalistische Zusammenschlüsse bilden. Wie sich diese in der folgenden Zeit entwickeln werden, wird sich nach der Entscheidung der Alliierten über die östlichen Gebiete Deutschlands und die von den Nazis besetzten osteuropäischen Staaten herausstellen.

Ab heute muß mit aller antifaschistischer Kraft verhindert werden, daß preußische Junker und schlesische Grubenbesitzer Einfluß nehmen auf die nach dem Nazi-Terror sich neu konstituierende deutsche Gesellschaft. Die Flüchtlinge leben in großer sozialer Not und es ist zu erwarten, daß noch weitere Millionen von Flüchtlingen in den Westen gelangen und sich die momentane Situation durch den mangelnden Wohnraum und die Ernährungslage noch verschlimmern wird. Es muß sich daher von Seiten der Bevölkerung mit allen Mitteln dafür eingesetzt werden, daß die nach einem Rettungsanker suchenden notleidenden Flüchtlinge sich nicht in revanchistischen Organisationen zusammenfinden, sondern so schnell wie möglich in die Gesellschaft integriert werden.

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