Deutschland im Mai: Herrenclub und verwirrte kleine Leute

Ein US-Journalist aus Frankfurt berichtet

Frankfurt, 10. April (rtp) - In diesem Land herrscht Chaos und unter den Leuten Hysterie, die sich schnell zu einer Trotzhaltung und dem Gefühl ausweitet, ungerecht behandelt zu werden, und nicht von der geringsten Spur eines Schuldgefühls getrübt wird. Die meisten dieser Männer mit hohem und in manchen Fällen höchstem Ansehen in der Gesellschaft sind bereit zuzugeben, daß Deutschland den Krieg verloren habe, beeilen sich aber hinzuzufügen, der Grund hierfür sei die Übermacht der Alliierten an Macht und Material gewesen; sie fügen dann sogleich hinzu, sie werden sich in Zukunft Mühe geben, das auszugleichen. Der Gesamteindruck ist, kurz gesagt, beunruhigend. Soweit ich feststellen kann, ist die Einstellung des durchschnittlichen Managers von Selbstmitleid, kriecherischer Rechtfertigung und einem gekränkten Unschuldsgefühl geprägt, das mit einem Jammern um Mitleid und um Hilfe beim Aufbau seines zerstörten Landes verbunden ist. Viele von ihnen, wenn nicht die meisten, erwarten zuversichtlich, das amerikanische Kapital werde sich unverzüglich bei der Aufbauarbeit engagieren. Sie erklären sich bereit, ihre Arbeitskraft und ihren Verstand in den Dienst dieser vorübergehenden Herren zu stellen; davon erhoffen sie sich unverhohlen, Deutschland mächtiger und größer wiederaufzubauen, als es in der Vergangenheit war. Sie sind ohne Ausnahme über ihre Lage und ihre künftigen Aussichten äußerst beunruhigt. Dafür, was ihr Land in seiner bejammernswerte Lage gebracht hat und wer dafür verantwortlich ist, interessierten sie sich kaum, genauer gesagt gar nicht. Der "Herrenclub" der Wirtschaftsleute ist offensichtlich fest entschlossen, möglichst schnell und mit allen Mitteln die Kontrolle zurückzugewinnen und er ist offensichtlich davon überzeugt, daß er dieses Ziel auf Grund der sprichwörtlichen Gutmütigkeit, Menschenfreundlichkeit und Gefühlsduselei der Amerikaner erreichen könne. Die Führer der Wirtschaft geben offen zu, daß das eroberte Deutschland im Augenblick ein politisches und wirtschaftliches Vakuum ist. Dabei seien sie am besten in der Lage, es wieder zu füllen - und nicht die umherstreunenden, verlumpten und verwirrten kleinen Leute, die in den Geisterstädten ihrer unter Trümmern begrabenen Welt umherirren.

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