Polte-Werke

Gewinne durch Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit in Duderstadt

Duderstadt, 7. Mai (fb) - Einen Monat nach der Besetzung Duderstadts erinnert nichts mehr an die gloreiche Zeit des "tausendjährigen Reiches". Die Euphorie vergangener Tage ist gewichen. Die Erinnerung an diese Zeit werden durch Erlebnisse des alltäglichen Lebens überblendet oder bewußt verdrängt. Die Beschaffung von Lebensmitteln und die Flüchtlingstrecks aus den Ostgebieten beherrschen seit Wochen die Gemüter der Bevölkerung. Viele haben einen Schlußstrich gezogen - wollen nichts mehr von der ungeliebten Vergangenheit wissen. Andere hingegen beschwichtigen die Situation. Zur Entlastung des eigenen Gewissens wird die Verantwortung auf andere Personen abgeschoben. Zwar hätte es in anderen Städten Ausschreitung gegen Juden und ausländische Arbeitskräfte gegeben, doch im katholisch geprägtem Eichsfeld wäre so etwas unmöglich gewesen.

Dabei wird allzu schnell vergessen, daß auch die in Duderstadt ansässigen Juden systematisch vertrieben wurden und die Synagoge in der Christian-Blank-Straße durch Brandstiftung zerstört wurde. Durch Initative des Duderstädter Bürgermeisters Andreas Dornieden, der stets nur von großen Bauvorhaben sprach, errichtete der Magdeburger Rüstungsbetrieb Polte ab 1939 vor den Toren der Stadt ein Zweigwerk zur Herstellung von Munition. Bereits während der Bauphase arbeiteten zahlreiche Fremdarbeiter auf der Baustelle des Werkes. Diese hatten sich zumeist freiwillig für den Arbeitseinsatz im Deutschen Reich gemeldet. Bedingt durch die schlechte Ernährung und die unzureichende Unterbringung im Barackette es in anderen Städten Ausschreitung gegen Juden und ausländische Arbeitskräfte gegeben, doch im katholisch geprägtem Eichsfeld wäre so etwas unmöglich gewesen.

Dabei wird allzu schnell vergessen, daß auch die in Duderstadt ansässigen Juden systematisch vertrieben wurden und die Synagoge in der Christian-Blank-Straße durch Brandstiftung zerstört wurde. Durch Initative des Duderstädter Bürgermeisters Andreas Dornieden, der stets nur von großen Bauvorhaben sprach, errichtete der Magdeburger Rüstungsbetrieb Polte ab 1939 vnlager "Am Euzenberg" sind viele von ihnen nach Ablauf der Arbeitsverträge in ihre Heimat zurückgekehrt. Um den Anlauf der Rüstungsproduktion im Jahr 1941 dennoch sicherzustellen, wurden vermehrt Fremdarbeiter/innen aus Polen und Frankreich gegen ihren Willen nach Duderstadt gebracht. Allein im November 1941 trafen etwa 300 Frauen aus Kroatien, Frankreich, Serbien und den Niederlanden ein. Die einseitige Ernährung und die harte Arbeit führten dazu, daß sehr viele Fremdarbeiterinnen nach zwei oder drei Monaten "Aufenthalt" entlassen werden mußten. Diese wurden in der Folgezeit überwiegend durch Kriegsgefangene aus dem Stalag XI B Fallingbostel ersetzt. Zu diesem Zweck wurde von der Werksleitung im Jahr 1942 ein neues Fremdarbeiter- und Kriegsgefangenenlager aus dem ehemaligen Fußballspielplatz "Am Westerborn" errichtet. Nach der Fertigstellung der Holzbaracken im Frühjahr 1943 wurde das Lager "Am Euzenberg" aufgelöst und die Insassen in das neue, mit Stacheldraht umzäunte und durch Aufseher bewachte Lager verlegt. Durch die Überbelegung des Lagers, die unzureichenden sanitären Einrichtungen und die kriegsbedingte Reduzierung der Lebensmittelrationen verschlechterten sich die Lebensbedingungen drastisch. Ab 1943 kam es immer häufiger zu Tätlichkeiten gegenüber den ausländischen Arbeitskräften. Geringste Vergehen wurden durch das Bewachungspersonal oder die Abwehrabteilung des Werkes geahndet. Aber auch Vorarbeiter nutzten ihre Machtstellung aus und versuchten so ihre eigenen Fehler zu kompensieren. Mit der verstärkten Einberufung von Männern zur Wehrmacht verschärfte sich der in Duderstadt herrschende Arbeitskräftemangel weiter. Aus diesem Grund wurden ab November 1944 insgesamt 750 ungarische Jüdinnen aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen im Polte-Werke zur Arbeit gezwungen. Das mit Stacheldraht und Elektrozaun abgesicherte Lager befand sich in unmittelbarer Nähe des Werkes auf dem Gelände der ehemaligen Möbelfabrik Steinhoff. Bewacht wurden die Frauen von Aufseherinnen aus der Region des Eichsfeldes, die in Ravensbrück ausgebildet wurden. Als sich die amerikanischen Truppen dem Harz näherten, wurden die Frauen am 05. April mit Bussen und Lkws nach Seesen gebracht. Von dort sollten sie ins KZ-Theresienstadt deportiert werden. Nach dreiwöchiger Irrfahrt, ohne ausreichende Verpflegung und eingepfercht in Waggons, wurden zahlreiche Frauen durch einen Luftangriff in der Nähe von Lobositz verletzt und getötet. Den Rest der Strecke legten die Frauen zu Fuß zurück und trafen am 26. April in Theresienstadt ein.

Das Polte-Werk beschäftigte als Generalunternehmer bis zu 2600 Arbeitskräfte; etwa 1200 stammten aus Duderstadt oder der näheren Umgebung des Eichsfeldes. Jeder von ihnen kannte die Zustände im Werk und die mangelnde Versorgung der ausländischen Arbeitskräfte mit Lebensmitteln. Trotz zahlreicher Gelegenheiten setzten sich nur wenige Einheimische persönlich ein, um das Schicksal der "Mitarbeiter" zu mildern. Das Polte-Werk, auf einem Hügel über der Stadt thronend, vollzog seine Tätigkeit vor den Augen aller. Es nutzte Gemeinschaftseinrichtungen und öffentliche Verkehrswege, beschäftigte Duderstädter Arbeitskräfte und Eichsfelder Firmen. Doch die Bewohner haben die Geheimhaltung und das Lieber-nicht-wissen-wollen soweit verinnerlicht, daß das Schweigen über das Polte-Werk wahrscheinlich Jahrzehnte dauern wird.

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