"Wir müssen nun ganz von unten anfangen"

Zurückkehrende Emigranten berichten

Der Redaktion wurden folgende Aufzeichnungen von SAP- und ISK-Migliedern zugesandt, die davon Zeugnis geben, daß wir mit unseren Gedanken und unserem Willen nach einer besseren Zukunft nicht allein sind.

Tirlemont/Belgien, 13. April (Robert Neumann)

Eine deutsche bombardierte Stadt ist auf Jahre fertig. Es gibt hier Orte, wo nicht mehr ein Haus steht. Es ist bitter, aber die Menschen sind besser als wir gedacht haben. Es gibt noch eine ganze Menge Genossen und auch andere, die ausgesprochen Anti sind. Das Verhältnis zu den Fremdarbeitern ist weit besser als wir geahnt hatten. Aber jetzt wird es Hunger geben und Typhus ist schon in vollem Gange; dabei kein Wasser oder Licht; es ist nicht schön. Aber den Kopf nicht hängen lassen.

Köln, 23. April (Alfred Kiss)

Köln von Zentrum beherrscht. Gewerkschafts-Einheits-Committee sprach bei M.G. vor und erbat Genehmigung für Gründung Gewerkschaft. Wurde, da zu früh, abgelehnt. Vorbereitungen zur Schaffung der Stadtverwaltung waren ursprünglich von Godesberg aus getroffen worden unter Adenauers Leitung, der sich mit reaktionärsten Zentrumsleuten umgeben hat. Adenauer soll sicher Oberbürgermeister später werden, zögert noch, weil drei Söhne im Nazi-kontrolliertem Gebiet. Gesamtstimmung der Bevölkerung gegen Zentrum. Eigentümlichkeiten: Kölnischer Kurier herausgegeben von US-Army, eingesetzter Redakteur jetzt Schwers früherer Zentrums-generalsekretär, äußerst rechts; seine Sekretärin echte Nazi, früher AA (Arbeitsamt). Präsident letzten Nazi-Standgerichts läuft frei herum . Im allgemeinen herrscht "Kriegskommunismus", d.h. jeder organisiert, besorgt etc.

Field Base C, 7. Mai (Robert Neumann)

Wir wären ja schon feste an der Arbeit, wenn wir wüßten, was wir sollten. Ein Teil hatte gedacht, daß sie Präsident vom Arbeitsamt oder Bürgermeister werden würden und sind jetzt ganz geknickt, daß es damit nichts ist. - Aber sonst ist es ganz nett hier. Am Freitag kam die Befreiung Hollands heran, in der Stadt war großer Jubel mit Schießen und Feuerwerk. Und heute ist nun Frieden. es ist nun endlich Schluß mit dem Nazi-Regime und nun fängt etwas anderes an. Wir müssen ja nun ganz von vorne anfangen oder - noch besser - ganz von unten anfangen. Ich wünschte nur, daß alle von der KP und FDB in einer von den Russen besetzten Stadt gewesen waren, besonders die Frauen. Dann hätten sie wenigstens die russische Kraft und den Schwung am eigenen Leib kennengelernt.

Köln, 7. Mai (Werner Hansen)

Am 29. April fand Konferenz statt mit 39 Teilnehmern aus 10 Distrikten, fast alles ehemalige KZ-Leute, nur ein organisierter KP-Mann. Allgemeine Auffassung, daß KP zur Verantwortung herangezogen werden müsse. Starke Betonung der Notwendigkeit, Wirtschaft genossenschaftlich zu organisieren.-- Wohnungsnot in Köln kam zur Sprache, legalistische Absicht der Stadtverwaltung, alte Wohnungsinhaber auch dann wieder in die Wohnungen zu lassen, wenn es Nazis sind. Geschickte KP-Propaganda dagegen, Nachgeben der Stadtverwaltung. Brief des Rabbiners, der die Frage stellt, ob es nicht richtig sei, den 100 Juden, die von den 18 000 übrig geblieben sind, die Wohnungen zu gönnen. -- Demonstration zum Empfang der Buchenwald-Rückkehrer. An sich verbotene Demonstration, USA-Soldaten schossen in die Luft, nichts geschah, aber wilde Gerüchte entstanden. -- Viel Diskussionen über Rußlands Einstellung in östlicher Besatzungszone, viel Zweifel an Berichten, aber auch zunehmende Sympathien für Rußland, trotz aller Furcht. -- Zentrumsklüngel in Köln läßt niemand in die Verwaltung. Besonders schlimm seit Adenauers Rückkehr. Erbitterung bei allen Arbeitern, die in negative Kritik getrieben werden. -- Es gibt Betriebsausschüsse, u.a. bei Ford, Glanzstoff, Braunkohlensyndikat, Karlswerke, Deutz-Motoren-Fabrik, IG-Farben. Das unverständliche Verhalten der Amerikaner, betreffend Bildung von Gewerkschaften führt zur Apathie. Mai-Feiern waren verboten, dagegen konnten am 1. Mai katholische Kirchenfeiern, die sich nicht immer von Politik fernhielten, abgehalten werden -- In Dörfern sind noch viele Nazis auf Bauernhöfen, darunter untergetauchte Nazis mit falschen Papieren.

[zurück] [weiter] [grafische Übersicht] [Inhalt] [Seite drucken] [Fenster schließen]