Hitler sprengen!

Das Attentat im Bürgerbräukeller

Es ist eine Geschichte von Macht. Und es ist eine Geschichte von Machtlosigkeit. Die Geschichten unserer Geschichte erzählen von beidem.

Am 8. November 1939 detoniert im Münchener Bürgerbräukeller eine Bombe. Als der Staub sich legt, liegen in den Trümmern, die die Explosion hinterlassen hat, acht tote Menschen, sieben "Alte Kämpfer” der NSDAP und eine Kellnerin, es gibt 63 Verletzte. Unter den Leichen ist leider nicht derjenige, dem der Anschlag gegolten hat. Am 8. November pflegte Adolf Hitler im Bürgerbräukeller seiner Gesinnungsgenossen zu gedenken, die bei dem von ihm und Ludendorff angeführten versuchten Putsch am 9. November 1923 von der Polizei erschossen worden waren. Am 8. November 1939 jedoch bleibt Hitler nicht so lange wie sonst. Nach einer kurzen Rede verlässt er den Saaldu, fährt mit dem Zug nach Berlin, um von dort aus den Frankreichfeldzug der Deutschen Wehrmacht mitzuplanen. 13 Minuten fehlten, sonst wäre seinem Führerdasein ein wohltuend frühes Ende gesetzt worden. München, 21 Uhr und zwanzig Minuten.

Szenenwechsel: Konstanz, der gleiche Tag, jedoch eine halbe Stunde früher. Wenige Meter vor dem Grenzzaun zur Schweiz gerät ein Mann in den Lichtkegel einer Taschenlampe. In seinen Taschen finden die Grenzsoldaten, die ihn festnehmen, eine Drahtzange, einige Anleitungen für den Bau von Granaten und Zündern und einige Zünderteile, eine Ansichtskarte, die den Münchener Bürgerbräukeller zeigt, und einen Ausweis des Rotfrontkämpferbundes. Er wird einem Verhör unterzogen. Der Mann heisst Johann Georg Elser und ist Schreinergeselle.

Johann Georg Elser wird am 4. Januar 1903 in Hermaringen in der Nähe von Ulm geboren. Er macht eine Ausbildung als Schreiner, arbeitet auch lange in dem Beruf in verschiedenen Betrieben, vor allem in Konstanz. Er hat nicht viele FreundInnen, auch der Kontakt zu seiner Familie ist von zahlreichen Auseinandersetzungen belastet. Von seiner Umwelt wird er als Eigenbrötler eingeschätzt. Er besucht einige Zeit Veranstaltungen des Rotfrontkämpferbundes, wird schliesslich auch Mitglied. Jedoch ist er nie Aktivist des Bundes gewesen, eher passives Mitglied. In einem Kneipenhinterzimmer trifft er sich regelmässig zum Zitherspielen. 1930 verliert er im Zuge des allgemeinen Wirtschaftskrise seinen Arbeitsplatz, schlägt sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Mit dem Beschäftigungsschub, den die Machtübergabe an die Nazis mit sich bringt, erhält auch Elser wieder Arbeit als Schreiner und als Hilfsarbeiter.

Ein Bild von ...
Johann Georg Elser

Er sieht jedoch, dass sich die allgemeine Lage der ArbeiterInnen sich unter der Nazi-Herrschaft nur noch verschlechtert. Die Löhne seien gesunken, die Abgaben gestiegen, auch die Wahl des Arbeitsplatzes sei eingeschränkt worden. Dies gibt er später als eine seiner Motivationen an, warum er Hitler und andere Nazi-Grössen sprengen wollte. Ohne eine tiefergehende politische Analyse oder Informiertheit schliesst er schon 1938, das die Politik Hitlers, der Nazis, die ganze Welt in einen Krieg stürzen wird. Während der Sudetenkrise im Herbst 1938 beschliesst er, das Attentat auszuführen. Als sinnvoller Termin erscheint ihm eben jener 8. November, weil an diesem Tag sowohl Hitlers Aufenthaltsort lange Zeit vorher voraussagbar ist, als auch immer mehrere Nazi-Grössen hier anwesend sind.

Szenenwechsel: München, 8. November 1938. Elser besucht zum ersten Mal den Münchener Bürgerbräu-Keller, um das Terrain zu sondieren. Jetzt schon macht er die Säule, in der er später seine "Höllenmaschine” plazieren wird, als guten Standpunkt aus.

Im folgenden Jahr richtet Elser sein ganzes Leben nach seinem Attentat aus. Er arbeitet auf verschiedenen Steinbrüchen in Südwestdeutschland, um dort Sprengstoff für seine Tat zu sammeln. Die Bombe konstruiert der technische Autodidakt mit einem Uhrwerk, dass er als Arbeitslohn erhielt, als ein Betrieb, in dem er gearbeitet hatte, in Konkurs ging und seinen Lohn nur in Naturalien ausbezahlen kann. Alle Vorrichtungen, die zum funktionieren seiner "Höllenmaschine” notwendig sind, sichert er doppelt ab, damit der Anschlag wirklich fehlerfrei ablaufen kann.

Im August 1939 zieht Elser nach München. Dort wohnt er als Untermieter bei verschiedenen Familien, zuletzt, als das Geld knapp wird, bei einem befreundeten Schreiner, dessen Werkstatt er benutzen kann. Abends geht er in den Bürgerbräukeller und lässt sich dort einschliessen. In mühevoller Kleinarbeit bricht er in die Säule auf der Empore des Saales ein Loch, das für seine Bombe gross genug ist. Arbeiten kann er nur, wenn alle zehn Minuten die Spülung der Pissoirs automatisch anspringt und seine Hammerschläge übertönt werden. Die Innenseite der Holzvertäfelung der Säule, die als Sichtschutz für das Loch dient, verkleidet er mit einem Blech, damit, falls die Säule abgeklopft oder gar versucht wird einen Nagel in die Vertäfelung zu schlagen, der Hohlraum darunter nicht entdeckt wird. Den Bauschutt nimmt er morgens mit sich in einer Aktentasche, wenn die Gaststätte geöffnet wird.

Am 5. November hat Elser seinen Apparat fertig eingebaut und fährt noch für zwei Tage zu seiner Schwester nach Stuttgart, um einige Familienangelegenheiten zu besprechen. Seinen Hausstand hat er mittlerweile weitgehend aufgelöst, die Reste will er bei ihr unterstellen. In der Nacht zum 8. November macht Elser seinen Sprengsatz scharf und setzt sich dann in den Zug nach Konstanz. Alles klappt bis auf die Minute genau, bloss der Täter, der eigentlich Elsers Opfer werden sollte, geht zu früh.

Noch einmal Szenenwechsel: Ein Folterkeller der Gestapo. Elser wird mehrere Wochen lang verhört. Auch als er geschlagen und gefoltert wird, nennt er keine Hintermänner, keine Komplizen. Es gibt keine. Ja, er ist sogar bemüht, diejenigen, die durch Lässigkeiten sein Attentat begünstigten, von aller Schuld freizuhalten.

Schon kurz nach dem Attentat kommen Spekulationen auf, Elser wäre ein englischer Agent oder Hitler hätte gar den Anschlag selbst inszeniert, um zu suggerieren, die Vorsehung hätte ihn gerettet, er wäre also unbesiegbar. Niemand traute dem Schreiner aus Hermaringen zu, dass er seine Tat allein, ohne fremde MitwisserInnen- und MittäterInnenschaft durchgeführt hat.

Nach der Zeit der Verhöre wird Elser in das KZ Sachsenhausen verbracht. Dort muss er seine "Höllenmaschine” noch einmal nachbauen, um zu beweisen, dass er wirklich alleine den Anschlag durchgeführt hat. Er ist Sonderhäftling, hat einige Vorteile anderen Häftlingen gegenüber, die Nazis planen einen Schauprozess nach Kriegsende gegen ihn. Ende 1944/45 wird er in das KZ Dachau verlegt.

Ein letzter Szenenwechsel: Dachau, 9. April 1945, zwanzig Tage vor der Befreiung des Lagers. Johann Georg Elser wird auf direkten Befehl Heinrich Himmlers im KZ Dachau ermordet. Die Tat wird direkt während oder kurz nach einem Luftangriff ausgeführt; in den Akten sollte stehen, dass er während des Angriffs tödlich verletzt wurde. Tatsächlich bleibt aber der Brief des Gestapo-Chefs Heinrich Müller an den Lagerkommandanten, den SS-Obersturmbannführer Weiter, erhalten, der die Anordnung der Tat offenbart.

Taten sich ein Grossteil der Deutschen schon mit dem Widerstand sehr schwer, ist dies auch bei dem Gedenken an diejenigen zu beklagen, die bereit waren, Widerstand zu leisten. Johann Georg Elser stammt nicht von den Reichen und Mächtigen der Gesellschaft ab, wie ein Graf Stauffenberg. Kein Staatsakt erklärt den 8. November zum Tag des deutschen Widerstands. Seine Tat zeigt jedoch, dass die Frage: "Was hätten wir denn tun sollen?” viel öfter eine Antwort hätte finden können.

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