Opfer - Täter: Mittäter?

Vorwürfe gegen "rote Kapos" in Buchenwald

Weimar, 7. Mai (jm) - Schon kurz nach der bewaffneten Selbstbefreiung der Häftlinge des KZ Buchenwald am 11. April werden Stimmen laut, die gegenüber den "roten Kapos" im Lager den Vorwurf der Mittäterschaft am Terror der SS erheben. Die im pervertierten Sprachgebrauch der SS als "Kameradschaftspolizei" (Kapo) bezeichnteten und durch die SS eingesetzten Funktionshäftlinge stellten eine organisatorische Zwischenschicht im KZ dar. Die Kapos ermöglichten es dem zahlenmäßig geringen SS-Wachpersonal, das Lager mit mehreren tausend Häftlingen zu verwalten und zu kontrollieren. Nach Aussagen von Lagerinsassen stellten bereits kurze Zeit nach der Lagergründung Mitglieder und Funktionäre der KPD - aus der Gruppe der mit roten Winkeln als politische Gefangene gekennzeichneten Lagerinsassen - diese "Führungsschicht" unter den Gefangenen. Nachdem ihr Anteil am Lagerwiderstand, der in der eigenständigen Befreiung gipfelte, zuerst hervorgehoben wurde, mehren sich nun kritische Stimmen: Herrschaft einer kleinen, deutschen, mit Privilegien ausgestatteten, kommunistischen Kapo-Clique über die Mehrheit der ausländischen Häftlinge; Bevorzugung der eigenen Kader bis hin zum Austausch von Todeskanditaten zur Rettung von Kommunisten so lauten die Vorwürfe. All dies muß - nachdem man zuvor die nationalsozialistischen Haupttäter und ihre Unterstützer in Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung dingfest gemacht und verurteilt hat - von den Organen der alliierten Militärbehörden geprüft und verfolgt werden.

Die Befragung und Vernehmung von Zeugen und Beteiligten wird zeigen, ob das KZ eine "Solidargemeinschaft der Leidenden" war, oder ob das z. T. tödliche Gegeneinander von Gruppeninteressen im Überlebenskampf die Oberhand gewann und den Lageralltag bestimmte. Vielleicht auch beides. Schon jetzt wird soviel deutlich: Der grausame Lageralltag und der Zwang das Überleben zu sichern und gleichzeitig Widerstand zu organisieren, darf nicht zu einem vereinfachten, auf den kommunistischen Widerstand konzentrierten antifaschistischen Mythos führen. Es darf in der Zukunft aber auch nicht übersehen werden, daß die jetzt beklagte Mittäterschaft im Kalkül der SS genau so vorgesehen war. Unvollständig wie sich das Bild über das KZ-System jetzt noch darstellt, scheint doch festzustehen, daß die Möglichkeit zur teilweisen Milderung des Schicksals von Häftlingen immer mit einer Mittäterschaft auf Seiten der SS verbunden war. Eine Tragik, der - wie es scheint - sich auch die "roten Kapos" in Buchenwald nicht entziehen konnten.

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