Bilder stellen Fragen

die Menschen antworten nicht

Die Deutschen und ihre Schuld in diesen Tagen.

London, 7. Mai (hk) - Erst vor drei Wochen hat die Fotojournalistin Margret Bourke-White nach der Befreiung des Lagers Dachau an die Zeitschrift "Life" nach Amerika geschrieben: "Das, was ich gerade gesehen habe ist so unglaublich, daß ich es wohl erst glauben werde, wenn ich die Fotos gesehen habe.

Ein Bild von ..
Bergen-Belsen, zwei Tage nach der Befreiung

Was wir in den Lagern sahen, hat uns entsetzt. Menschenverachtende Greuel, die Beispiellos sind. Deutsche wurden in die befreiten Lager geführt, Honoratioren zumeist, später kamen manche auch aus eigenen Stücken. Aber niemand fühlte sich verantwortlich. Immerhin: Die meisten waren betroffen, einige weinten. Doch was nützen jetzt Tränen, wenn ihr Verstand ihnen nicht sagt, daß all das ohne ihre Unterstützung nicht möglich gewesen wäre? Die Kirche bemüht sich eifrig, ihren Gläubigen diese Last der Schuld zu nehmen. Der Münchener Kardinal Michael von Faulhaber nimmt in seinen Predigten auf die Fotografien aus den Lagern Bezug. Sie seien gemacht worden, so Faulhaber, "um der ganzen Welt bis zum letzten Negerdorf die Schmach und Schande des deutschen Volkes vor Augen zu stellen." Ein "Gesamtbild" der Leichen in den deutschen Städten sei "nicht weniger schrecklich". Aufrechnen, Relativieren, Leugnen, Verdrängen - Strategien eines Volkes von Schuldigen, daß sich selbst freizusprechen versucht. Ich höre mich um, zeige auch Fotos aus den befreiten Lagern. In einer niedersächsischen Kleinstadt spreche ich mit einigen Leuten. Sie sind skeptisch, reden nicht offen, niemand erzählt von sich. Aber keiner war dabei, niemand hat etwas gewußt - so viel verstehe ich von dem, was sie sagen. Einzelne hatten die Fotos bereits gesehen. Einer murrte, die Bilder seien gar nicht in Deutschland gemacht, die hätten die Briten zu Propagandazwecken in den indischen Hungergebieten aufgenommen. Zustimmung bei anderen: Sie ließen sich nicht einreden, am Krieg Schuld zu sein; dafür müßten andere ihren Kopf hinhalten. Bei soviel Selbstverteidigung ist für Worte nur des Bedauerns, geschweige denn der Einsicht, kein Platz. Der Krieg hat auch bei diesen Menschen seine Wirkung gezeigt. Ich schaue in verhärmte Gesichter. In ihnen steht viel Anstrengung und auch manches persönliche Leid geschrieben. Sie sind enttäuscht über die Niederlage, wissen nicht, was auf sie zukommt, haben keine Ideale mehr, und konzentrieren sich auf sich selbst und ihre Familie. Aber rechtfertigt das ihre Ignoranz? Hat nicht gerade diese Indifferenz, diese Selbstbezogenheit dazu beigetragen, daß es soweit kommen konnte? Wer diese Menschen, die sich schnell von einem abwenden, der ihn ihre Geschichte vor Augen hält, von ihrer Schuld überzeugen will, muß vorsichtig sein. Ich habe versucht, sachlich zu bleiben, wenn ich von dem berichtete, was ich in den Lagern gesehen habe. Das viel mir schwer, aber es ist der einzig mögliche Weg. Vielleicht gelingt es, den Deutschen ihre Verfehlungen nahezubringen wenn sie zunächst sachlich, aber gezielt und umfassend unterrichtet werden? Keine Schuldpropaganda, wie es die Deutschen den Alliierten, auch mir jetzt schon vorwerfen, sondern eine genau überlegte Informationskampagne, die mit Postern, Plakaten, Filmen und über das Radio die Deutschen informiert? Es mangelt vor allem an richtigen Informationen. Viele, mit denen ich gesprochen habe, meinten, die Kommunisten und Schwerverbrecher hätten da schon hingehört. Von anderen Opfern wollten sie nichts wissen. Solche Meinungen müßten erst einmal richtig gestellt werden. Diese falschen Bilder müssen durch die Wahrheit ersetzt werden. Das ist eine der Grundlage von Demokratie. Doch: Sind die Bilder nicht zu tief verwurzelt, die vor Leugnungs- und Abwehrstrategien nicht zu stark und zu lange antrainiert, als daß wir sie in der notwendigen Kürze der Zeit beseitigen könnten?

Ein Bild vonÜberlebende eines KZs

Reicht es andererseits aus, den Deutschen nur zu sagen, was sie falsch gemacht haben? Oder müßte man sie nicht auch an der Bestimmung und Gestaltung ihres weiteren Schicksal beteiligen? Doch das setzt wohl gerade ein Minimun an Schuldeingeständnis voraus. Ich habe es bislang nicht finden können. Wird sich jemals gegen das dichte Geflecht der nationalsozialistischen Propaganda und gegen das Mißtrauen, auch die siegreichen Alliierten hätten nichts anderes als ihre Indoktrination im Sinn, ein Selbstbild durchsetzen, das den Zusammenhang von deutscher Gesellschaft und nazistischen Verbrechen nicht durch nazistische Entlastungsversuche, zu vernebeln versucht? Hier hängt sicher viel von der Politik der Alliierten ab. Aber es sind die Deutschen selbst, um deren Zukunft es geht. Wollen sie ihr Geschick einmal wieder selbst bestimmen können, ist anderes als die verbreitete Mischung aus Argwohn, Mitleid, Desinteresse und Distanzierung gegenüber ihrer allerjüngsten Vergangenheit nötig. Die Deutschen müssen zunächst jene Fragen beantworten, die ihnen die Bilder stellen. Niemand kann ihren das abnehmen.

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